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Es war an einem warmen Sommertag, als Hank die gigantischen Finger zum ersten Mal sah. Große, schwere Glieder, die sich tastend über seinen Gartenzaun schoben. Bis eben lag er noch gemütlich in seiner Hängematte, hatte leicht einen sitzen und keine Termine. Seine Arme hingen zu beiden Seiten schlaff herunter wie Würste am Haken. Beinahe berührten sie den Boden. Fingerknöchel und Handrücken strichen leicht über das frisch gemähte Gras. 

Sein Rasenmäher-Roboter war auf der anderen Seite des Gartens mit einem dichten Batzen Gestrüpp beschäftigt. Er hatte ihn Günter genannt, wegen Günther Grass. Das monotone Geräusch von Günthers Schneideblättern, die im Innern der Maschine surrend um ihre eigene Achse schwirrten, hatte auf ihn eine beinahe meditative Wirkung. Der Duft von frisch gemähtem Gras erfüllte die Luft. Grasgeruch war das Geschrei des Grünzeugs. Er hatte das mal irgendwo gehört, Pflanzen versuchten sich auf diese Art vor Gefahren zu warnen. Nur zu gerne hätte Hank ähnliche Fähigkeiten besessen.

Stattdessen stockten ihm Atem und Stimme, als er die massiven Finger sah, wie sie über seinen Zaun tanzten. Kein Laut kam über seine Lippen, doch die darüber liegenden Augen weiteten sich und traten beinahe aus ihren Höhlen. Hätten ihn die Nachbarn in diesem Zustand erblickt, sie wären sich sicher gewesen: Dieser Mann ist gerade unrettbar verrückt geworden.

Die Kuppen der gigantischen Hand schoben sich forschend über die Holzlatten seines Zauns, von dem bereits die ausgebleichte Farbe abblätterte. Er hatte es nie geschafft, den Lack zu erneuern. Die Finger setzten sich in Bewegung; setzten über in seinen Garten! Erst sah er nur die einzelnen Gelenke, die forsch nach vorne stießen. Dann kam der massive Handrücken und verdunkelte fast die Sonne. Es waren schwere, raue Arbeiterhände, die da blind auf ihn zukrochen. Sie waren schmutzig und unter den tellergroßen Fingernägeln steckte noch die Blumenerde des Nachbargrundstücks.

Der etwas abstehende Daumen hatte sich bereits um seinen Zaun geschlungen. Die fest montierten Holzlatten, die nie mehr eine neue Lackschicht sehen würden halfen der Hand dabei, sich über die kleine Holzbarriere zu wuchten. In diesem Moment fuhr Günther parallel zum Zaun auf seine Ladestation zu. Bevor er dort ankommen sollte, würde er auf seinem Weg direkt in die Fänge der Riesenhand fahren.

Das war sein Moment. Jeder Überlebensinstinkt in Hanks schlaffem Körper regte sich. Sein blasses, schlaffes Wohlstandsfleisch wurde von bislang unentdeckten Muskelsträngen durchzogen, als er sich aus seiner Schockstarre löste und überhastet zur Seite hechtete. Die Wucht dieser Bewegung stieß seine Hängematte weg. Er knallte Kinn voraus in den Dreck, die Schnauze voller Rasen.

Erst sah er Sterne, dann wurde er bewusstlos. Die Hand kroch währenddessen weiter auf ihn zu. Sie war nur noch wenige Meter von ihm entfernt und gewann schnell an Geschwindigkeit. Wie eine gigantische Schlange wuchtete sich der Arm, der an ihr hing über den armen Zaun und zerquetschte ihn krachend unter dem Gewicht seines Fleisches.

Die Extremitäten krabbelten orientierungslos aber unaufhaltsam in Hanks Richtung, gleich würden sie ihn entdecken. Dann fuhr plötzlich Günther, der rasende Rasenmäher seitlich in die Hand hinein. Seine Schneideblätter schlugen surrend und scheppernd um sich. Dünne Scheiben Haut wurden von den gigantischen Kuppen des Mittelfingers abgesäbelt. Der Wind trug die Flocken sanft nach oben, wo sie kurz in der Sonne funkelten, bevor sie in alle Winde verstreut wurden.

Erst als die Klingen Blut schmeckten, nahm die Hand von ihnen Notiz. Zwei riesige Finger - es waren Daumen und Zeigefinger - schossen zu Boden und schnappten sich die kleine Frisbee-förmige Maschine. Dabei näherte sich der leicht lädierte Mittelfinger neugierig dem vibrierenden Gerät, nur um erneut von seinen Schneideblättern geschnitten zu werden. Die Hand schien die Geduld mit dem seltsamen Gegenstand zu verlieren und zerdrückte ihn mühelos zwischen ihren massiven Fingerkuppen. Für einen Moment flogen Funken, als die Schneideblätter sich selbst zerfleischten, dann ließen die Hand eine jetzt völlig zerstörte Metall-Scheibe zu Boden fallen.

Dieser kleine, unbedeutend scheinende Zwischenfall barg für Hank die perfekte Chance, zu entkommen. Nach seinem unglücklichen Absturz aus der Hängematte konnte er diesen Moment nutzen, um endlich in die Gänge und ins Haus zu kommen. Seine geschundenen Muskeln setzten sich erneut in Bewegung. Er sprintete ein kleines Holztreppchen hoch, das die Veranda mit dem Garten verband. Hinter ihm furchten die Hände weiterhin wild durch seine frischgemähte Wiese, die mit kleinen, funkelnden Teilen von Günther übersäht war. Den Mähroboter traf keine Schuld, er hatte mutig bis zuletzt sein Bestes gegeben.

Hank schmiss die Hintertür seines Hauses hinter sich zu und versuchte die letzten Minuten in einen verständlichen Zusammenhang zu bringen. Als ihm dies nicht gelang, schaltete er den Fernseher ein. Er drehte die Lautstärke nach unten, weil er sich nicht sicher war, ob die Kreatur davon angelockt wurde. Falls es nicht die Lautstärke an sich war, waren es vielleicht die Vibrationen des Lautsprechers. Wer wagte das in einer solchen Situation schon zu sagen?

Hinter ihm hörte er die Hand, das Aufwühlen von Erde und das Zerplatzen der Veranda-Dielen. Tische und Bänke wurden hin und her geschleudert. Sie krachten lautstark gegen die Hauswände. Hier und da hörte er Paneele brechen. Sicherlich war es auch bald um seinen frisch gekauften Grill geschehen, den er erst zweimal hatte nutzen können. An ihrem schlaffen Arm hängend schob sich die Hand durch die frischgepflanzten Geranien und zerbrach das Vogelhaus seiner Kinder. Es war über den Sommer leider leer geblieben. 

Das seltsame, wütende Ding riss die kleine Plastikrutsche aus ihrer Verankerung und warf die völlig verdrehten Teile weit hinter sich. Der Inhalt des angrenzenden Sandkastens spritzte dabei wie Wasser in alle Richtungen und klatschte lautstark gegen die Fenster. So viele Sandburgen, die nie wieder gebaut werden würden, dachte Hank für einen Moment und wurde kurz wehmütig. Fast war nichts mehr von seinem Hab und Gut zu sehen. Der Garten glich einer zerklüfteten Mondlandschaft. Aber wieso hatte ihn die Hand nicht ins Haus verfolgt?