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Die Geburten waren lang und schmerzhaft gewesen. Starke Kinder kamen wie üblich als Erstes. Gesund und kräftig lagen sie nebeneinander auf dem Boden. Sie waren mit Blut und Schleim bedeckt und von den Strapazen der Geburt gezeichnet. Manche strampelten und schrien, als ginge es um ihr Leben. Andere waren bereits jetzt schon wach und aufmerksam.

Nach dem ersten Wurf wurde die Qualität jedoch stetig schlechter. Die Schädel der Spätgeborenen waren von Deformationen und offenen Wunden gekennzeichnet. Es war unklar, ob sie mit diesen schweren Behinderungen überleben konnten. Schiefe Rücken, verbogene Finger, unterschiedlich lange Arme, ungelenke Beine und klobige Füße - die Schäden wurden zahlreicher und intensiver. Danach kamen die Totgeburten und zuletzt nur noch faustgroße Klumpen zwischen den blutigen Beinen der Mutter hervor. Undefinierbare Reste aus Zell-Brei, Haar-Büscheln und angedeuteten Körperteilen. Totes Fleisch, das nie wirklich gelebt hatte.

Insgesamt wurden ein Dutzend Kinder geboren; Zwei verstarben noch vor Ort und eines kam bereits tot zur Welt. Die verbliebenen neun Kinder waren in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung. Mindestens vier von ihnen hatten gute Chancen. Das beste Exemplar war ein waches Kerlchen mit einem markanten Muttermal an der Wange, es saß am Rande des Spektakels und beobachtete das Geschehen mit aufmerksamen, klugen Augen. Auf ihn würden sie besonders achten müssen.

Den Eltern blieb nur wenig Zeit. Liebevoll streichelten sie jedem Kind sanft die Wangen, markierten ihre Stirn und tränkten die Finger mit Schwarzwurzel-Saft. Die Farbe würde tief in ihre Haut ziehen und sie für immer zeichnen. Der Kleine mit dem Muttermal erhielt die Ehre des rechten Daumens, die anderen Kinder wurden auf die übrigen vier Finger verteilt. Die restlichen waren schwach und entbehrlich, deshalb blieb ihnen ein Name verwehrt.

Hektisch wurden die letzten Habseligkeiten aufgeladen, die Karawane machte sich bereits zur Abreise bereit. Bevor die Sonnen untergingen, mussten sie hinter dem Horizont sein. Zuletzt hob man die Mutter auf ihrer Sänfte in den Wagen und schlug mit schweren Scharnieren hinter ihr alle Klappen zu, die aus dem Transportmittel ein Heim gemacht hatten. Schwer beladen rumpelte das Gefährt zusammen mit den anderen von dannen und hinterließ tiefe Furchen in dem feuchten Grund aus blutigem Schlamm, während sich die zurückgelassenen Kinder bereits gierig um die Reste der Plazenta stritten. Bald schon würden die Überlebenden die Witterung aufnehmen und sich auf die Jagd nach ihren Eltern machen.

Die Kräfte der Mutter schwanden, der Vater schwamm in Tränen der Trauer. Die Welt war wütend geworden. Nur die Ältesten konnten sich noch daran erinnern, wie es früher einmal gewesen war, bevor sich alles verändert hatte. Damals waren Kinder ein Segen gewesen. Jedes einzelne wurde gehegt und gepflegt, als wären sie kleine Gottheiten. Doch als sich die Welt um sie herum verwandelte; als die Luft giftig, das Wasser schmutzig und die Erde unrein wurde veränderte sich auch das Leben. Missgeburten wurden von der Ausnahme zur Regel.

Selbst die Kinder, die all dies überlebten, waren verändert. Sie wurden schnell aggressiv und ließen sich in ihrer Wut kaum bremsen. Oft mussten sie zurückgelassen werden, um die Karawane zu schützen. Nach und nach wurden diese Kinder zahlreicher und gesunde Kinder immer seltener, bis sie eines Jahres plötzlich vollständig verschwanden. Selbst den Ältesten war keine Familie bekannt, die im letzten Dutzend Monde auch nur einmal normalen Nachwuchs geboren hatte.

Man sagte, die Veränderungen lägen am giftigen Boden des Landes, deshalb suchte die Karawane nach einem Weg hinaus. Eines Tages würden die fruchtbaren Ebenen vor ihnen erscheinen, an diesem Glauben hielten sie unabrückbar fest. Wie eine Fata Morgana würden sie hinter dem nächsten Hügel plötzlich auftauchen. Sie alle würden wieder gesunde Kinder bekommen können. Grüne, saftige Wiesen warteten irgendwo dort draußen auf kleine trampelnde Füße.

Durch die Stille der Dünen wehte der sonore Ruf des Heiligen Horns. Die Mutter war tot. Ihr Körper wurde unter gehauchten Gebeten über den Rand des Wagens geworfen und blieb auf dem Weg liegen. Ein Bündel Fleisch, hektisch gesegnet, in blutige Laken gewickelt und lieblos zurückgelassen. Dieses Opfer würde der Karawane mehrere Stunden Vorsprung bringen. Die Kinder würden sich an ihr gütlich tun und ihre Kräfte stärken, um sie später noch schneller verfolgen zu können. Währenddessen bekamen die Pferde Sporen und Zügel, mit denen die Gruppe ihren zarten Vorsprung bis zum Morgengrauen zu retten versuchte. Bis dahin könnten sie es an die Giftgrenze des Tals geschafft haben. Die grünen Felder, wo die Luft wieder besser und das Wasser trinkbar wurde.

Die Leiche im Laken blieb lange so liegen. Während sich der Mond langsam in den Himmel kämpfte, nahmen die Schemen im Dunkel körperliche Formen an. Trotz ihrer grotesken Gestalten erkannte man eine Gruppe von Kindern, die sich über die Überreste ihrer Mutter beugten. Die tote Welt um sie herum war still, man hörte nur leises Reißen, Schmatzen und Schlucken. Die Starken holten sich, was sie brauchten - für die Schwachen blieben lediglich Reste übrig. Ihr Schicksal war längst besiegelt, sie konnten die Karawane nicht mehr erreichen und mussten sich hier niederlassen. Vermutlich würden sie bereits in wenigen Tagen gestorben sein. Dieser verfluchte Ort war ihre Wiege und würde auch ihr Grab werden.

Giftkinder konnten jenseits der Grenzen nicht überleben. Irgendetwas band sie an diese Gegend. Es ließ sie instinktiv vor dem Verlassen der verseuchten Felder anhalten und umdrehen. Falls sie es doch versuchten, schien es, als würden ihre Lungen die gesunde Luft abstoßen wollen. Sie fingen an zu husten, krümmten sich vor Schmerzen und erbrachen ihr Innerstes nach außen. Kein Kind, dass hier geboren wurde, konnte das verfluchte Gebiet verlassen.

Comments

Simon Krätschmer

fyi: Das ist natürlich nur ein relativ kleiner Teil der kompletten Geschichte, die ich bislang auch nur 3x korrigieren konnte. Da geht also noch was. Für Club19-Patronis ist der komplette Text verfügbar (und mehr).