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29.9 bis 6.10.2015 

Nach den zwei bis drei Stunden unruhigen Schlafes, die wir in Kashgar noch bekommen konnten, quälen wir uns am frühen Morgen wieder aus dem Bett. Unser neuer Guide soll in der Lobby des Hotels auf uns warten. Der Laster mit dem Wohnmobil hingegen ist … irgendwo. Wir wissen es nicht. Wir warten eine Zeit, die uns wie mehrere Stunden vorkommt und füllen endlich unsere Getränkevorräte auf. Zu diesem Zeitpunkt gehen wir noch davon aus, dass wir – sobald der LKW da ist – dort einsteigen und uns zur Grenze bringen lassen. Wir brauchen dafür nur eben den LKW und den neuen Guide. Und das Ganze muss vor ca. 16:00 geschehen, dementsprechend werden wir mit jeder Minute nervöser.  Nach einiger Zeit kommt dann endlich Abdul auf uns zu. 


Er ist unser lokaler Guide für Kashgar und Umgebung, außerdem Uigure und spricht im Vergleich zu Herrn Jo sehr gutes Englisch. Nach einer kurzen Unterhaltung rät er uns massiv davon ab, den kaputten Wagen einfach hinter der Grenzen abzulassen und auf das Beste zu hoffen. Er empfiehlt, das WoMo in die Werkstatt zu bringen und ein paar Tage abzuwarten. Er ist zuversichtlich, dass unsere Visa verlängert werden, auch wenn die Feiertage vor der Tür stehen und Ämter eine Woche lang geschlossen haben werden. Abdul hält diese – chinesischen – Nationalfeiertage für keinen Grund, der die hiesigen Uiguren von der Arbeit abhalten sollte. Diese scheinen es sogar als einen kleine Akt der Rebellion zu empfinden, einfach weiter zu arbeiten.  Zunächst gefällt mir der Plan nicht. Ich will einfach weg aus diesem Land und bin bereit, es in Kirgistan mit allen Widrigkeiten aufzunehmen, Hauptsache ich muss mich nicht mehr mit Chinesen herumschlagen! Aber die anderen Reisenden sehen das anders, also beuge ich mich.


Uns wird in Aussicht gestellt, das Land in 2 oder 3 Tagen verlassen zu können.  Zunächst fährt Abdul uns zum Treffpunkt mit dem Transporter. Der LKW ist immer noch nicht am Hotel angekommen, was uns inzwischen in leise Panik versetzt hat. Abdul erklärt, dass der Laster wegen Sperrungen nicht in die Innenstadt fahren durfte. Es hat etwas mit Polizeikontrollen und der Herkunft des Fahrers zu tun. Der arme Mann (Uigure) steht seit Stunden am Stadtrand und weiß nicht so recht, was er tun soll. Gemeinsam mit einem anderen Abschlepper von der Werkstatt, die Abdul ausgesucht hat, fahren wir zum Treffpunkt, laden um und erlösen den ersten Lasterfahrer. Bei der Übergabe taucht Herr Li nochmal auf, der jetzt, wo er Herrn Jo los ist, deutlich entspannter wirkt. Er verabschiedet sich höflich und wünscht uns alles Gute.    Weiter geht es zur Werkstatt. Abdul hat einen großen, modernen Betrieb ausgesucht, in dem nur Uiguren unter einem chinesischen Chef arbeiten. Wir warten im Aufenthaltsraum, während die Mechaniker einen Blick auf das WoMo werfen. Abdul erzählt uns, auf die Verhältnisse im Betrieb und die Straßensperrungen angesprochen, wie es hier wirklich um die Menschenrechten der Uiguren steht. Wer die falsche Augenform hat, darf die Stadt nicht über die Landstraße verlassen (Die Autobahn ist wie gesagt absurd teuer). Uiguren werden ständig ohne nötigen Grund von der Polizei kontrolliert (lustigerweise werde ich das später bei einer Taxifahrt selber erfahren, denn die Polizisten halten mich erst einmal für einen Uiguren und knicken erst beim Anblick des deutschen Passes ein). Uiguren werden bei der Jobsuche diskriminiert. Etc. Natürlich will uns Abdul das nicht ins Mikrofon sagen.    Nach einiger Wartezeit bekommen wir versichert, dass die Werkstattcrew den Wagen reparieren kann. 


Es werden aber noch Ersatzteile gebraucht, die erst bestellt werden müssen. Aber alle sind zuversichtlich.  Abdul will uns zurück ins Hotel bringen und uns dort wieder einmieten. Wir merken an, dass wir es mit umgerechnet über 70 Euro pro Nacht und Zimmer etwas teuer finden, um dort weiter herumzulungern. Er findet im Handumdrehen ein Hotel für uns, das a) nur 10 Minuten von der Wekstatt entfernt b) moderner und c) mit 20 Euro pro Nacht und Zimmer deutlich erschwinglicher ist.    Abdul lädt uns und unser Gepäck am Eingang eines Hochhauses mit 16 Stockwerken ab und wir buchen unsere Zimmer. Schon am Empfang wird die Hotelangestellte misstrauisch. Sie sieht, dass unsere Visa nur noch 2 Tage gelten. Wir dürfen daher auch erst einmal nur 2 Nächte buchen. Dann beziehen wir unsere geräumigen Zimmer im 12. Stock (oder war es der 13.?)  Es ist jetzt, mit fast drei Jahren Abstand, völlig unmöglich, den genauen zeitlichen Ablauf der folgenden Tage einzuordnen. Aber am Ende sind wir ganze 10 Tage in Kashgar. Wären wir nicht die komplette Zeit total mit dem Nerven am Ende, es wäre fast wie ein kleiner Urlaub. Da wir aber jeden Morgen aufwachen und hoffen, dass unser Auto fertig oder unsere neuen Visa da sind, leben wir von einem Tag auf den anderen. Unsere tägliche Routine enthält folgende Elemente:  

- Arbeiten: Nico schneidet und sichtet Material, Mháire übersetzt an einem Star Wars-Buch für Ulisses.  Wir nehmen ein paar Videos für den Kanal auf - u.a. von der Spielemesse 2015 (in Kashgar)

- Nicht frühstücken. Das Frühstück im Hotel ist widerlich. Na ja, dafür ist der Laden billig.  Bemerken, dass das Hotel doch noch etwas schlimmer ist, als am Vortag gedacht. Wie dünn können Wände sein? Warum wird ein Stockwerk renoviert, auf dem Gäste wohnen? Warum bewegt sich der Fußboden im Bad?    

- Mit der Heimat kommunizieren: Wir hören von Anselme und Jörg Details zu ihrer krassen Spendenaktion. Jeden Tag werden neue, hohe Summen erreicht und jedes mal gibt uns das die Kraft, weiterzumachen. Gerade Mháire baut das sehr auf.    

- Abdul anrufen und nach dem neuesten Stand erkundigen. Meistens verröstet uns da auf später. Oder morgen. Oder er ruft an und fährt spontan mit uns irgendwo hin.   

-  Zur Werkstatt latschen und dort nachfragen, wie es aussieht . Oder mit Abdul dorthin fahren. Natürlich sieht es jeden Tag finsterer aus. Irgendwann wird klar, dass ein neuer Motorblock gebastelt werden muss. Die Ersatzteile müssen aus Urumchi eingeflogen werden. DORT arbeiten die Leute aber nicht  - oder die Leute am Flughafen arbeiten nicht. Auf jeden Fall zieht es sich dadurch. Abdul ist uns nicht immer eine Hilfe, aber Mháires Chinesisch und Russisch reicht, um mit den Mechanikern zu kommunizieren. Und da soll noch einer sagen, ihr Studium hätte nix gebracht.  


- Uns an der Hotelrezeption vorbeischleichen und/oder unser Zimmer verlängern. Jeden Tag buchen wir eine weitere Nacht im Hotel. Jedesmal will die Hoteldame wissen, ob wir unser Visum schon haben. Wir haben es nicht, also darf sie uns eigentlich keine Unterkunft gewähren. Abdul kann da teilweise vermitteln, an anderen Tagen müssen wir der Dame aber schlicht aus dem Weg gehen. Übrigens ist es bei der Visumausstellung auch wiederum ein Problem, dass wir keine sichere Hoteladresse nennen können.... 

-  Mit Abdul zu dem Amt fahren, das unsere Visa verlängern soll … das ist eigentlich ein Kapitel für sich. Das zuständige Amt hat tatsächlich auch währen der Feiertage teilweise geöffnet. Nur Visa Ausstellen dürfen sie wohl während dieser Tage nicht. Wir sind mehrfach dort und reden mit verschiedenen Beamten. Teilweise wird klar, dass diese wiederum nicht untereinander reden und wir erhalten verschiedene Aussagen von verschiedenen Beamten, die von „Geht nicht“ bis zu „Kein Problem, aber kommt morgen wieder, dann ist XY hier“ rangieren. An einem Tag sitzen wir stundenlang auf der Wartebank des kleinen Amts und warten auf die Abfertigung, dann merken wir, dass die Beamte, die für uns zuständig ist, verschwunden ist. Auf Nachfrage: Die ist nach Hause gegangen. Sie musste früher gehen. Keiner der anderen Beamten weiß, worum es geht oder wie der Stand unseres Falles ist, die Dame ist einfach mitten in der Bearbeitung gegangen, ohne ein Wort zu uns zu verlieren. Wir sollen am nächsten Tag wiederkommen.   Als wir endlich unsere verlängerten Visa bekommen, müssen wir neue Portraitfotos bei einem Fotografen machen. Die Beamtin VERWECHSELT DABEI DIE BILDER VON STEFF UND BASTI!!! Schaut euch die beiden mal an! Wie kann man das hinkriegen? 

Wir sehen halt für Chinesen alle gleich aus....

 Zwischendurch fährt uns Abdul auch zu seinem Chef beim Reisebüro. Wir reden über die Optionen: Macht es Sinn, vielleicht einfach nach Hause zu fliegen? Abduls Chef wird bei dieser Idee ganz rot! Auf keinen Fall! Wenn der Wagen hier bleibt, muss seine Firma 20.000 Euro Strafe zahlen – die würde er dann an uns weiterleiten!   

- Etwas zu Essen finden, das alle vertragen und das  dann auf dem Zimmer vertilgen. Manchmal gehen wir alle zusammen los, manchmal zieht nur ein Teil los und der Rest brütet im Zimmer vor sich hin.  Als Quelle von verträglichem Essen haben wir eine recht moderne Shoppingmall ausgemacht, die einen KFC beherbergt. Dort sind wir fast jeden Tag, auch wenn die Zugänge der Mall mit Metalldetektoren und Angrabbelkontrollen beschränkt sind. Könnte ja sein, dass die bösen Uiguren die Feiertage für einen Anschlag nutzen. Ich bin bis heute nicht sicher, wie ich es finden soll, dass wir fast immer durchgewunken werden, während alle anderen kontrolliert werden. Die Mall ist riesig und aus Frust kaufen wir auch etwas ein, immerhin ist hier alles billig. Basit kauft einen Bootleg-Hasen aus Ubisofts Raving Rabbids, der fast so groß ist, wie er selbst. Wir fragen uns ein wenig irritiert, wo der noch reinpassen soll. Wir widerstehen den Drang, alle möglichen Tiere aus ihren Käfigen zu befreien und nach Hause mitzunehmen (aber es ist hart).    

-  Wenn wir nicht gerade etwas von den obigen Punkten tun, gehen wir in Kashgar spazieren, wobei die Altstadt wie aus 1001 Nacht wirkt, während die Umgegend des Hotels eher an einen Slum erinnert. Wir fühlen uns nicht überall wohl, aber niemand kommt je auf die Idee, uns zu belästigen. In der Innenstadt stromern wir viel über den Basar, kaufen Obst oder Mitbringsel für unsere Eltern – oder Deko fürs LARP. Mháire findet auch günstige Klamotten für ihre Rahjani. Die Abende verbringen wir mit Filme kucken auf dem Notebook: Wir haben fast alle Folgen der 90er Jahre- Batman-Animationsserie dabei. Ansonsten schauen wir alle Folgen John Oliver auf Youtube durch, was dank Bastis Internetkünsten möglich ist.    Einmal versuchen wir auch, in der Altstadt eine Szene für Space 1889 zu drehen. Aber der  Anblick des geschminkten Steff lockt sofort eine Schar Kinder an, die uns überallhin verfolgen und den Dreh unmöglich machen.   


 Okay, das war doch einiges, dabei sind wir noch nichtmal bei unserer „Flucht“ aus Kashgar angekommen. Das wird dann wohl nächstes Mal Thema sein.   

Eins noch: Ich teile diese Tagebuch-Posts mal noch nicht auf Steady. Ich werde sie am Ende alle sammeln und als PDF dort reinstellen, aber es ergibt ja keinen Sinn, mit der vorletzten Folge dort zu starten. 

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Comments

Orkenspalter TV

Klar, da müsste noch viel Arbeit rein. Außerdem gibt's noch ein Tagebuch, das Mháire vor Ort handschriftlich geführt hat - und Steff und Basti haben auch noch einiges beizutragen. Erst einmal müsste aber geklärt werden, was Carsten von einem Buch hält.

Raoul Fiebig

Dann frag' doch vielleicht schon mal. Die Entscheidungsfindung dauert ja da manchmal. ;-) Ansonsten wäre das ja vielleicht ein Unterstützer-Projekt. :-)

Cadderly

Es ist wunderbar, dass Ihr auch weiterhin diesen Blog schreibt. Nach wie vor bin ich der Meinung, das dieser Roadtrip eine (verzeiht die Ausdrucksweise) "verdammt geile Leistung" darstellt. Ungeachtet dessen, wieviel negative Emotion _leider_ damit auch verbunden sind, so ist es .... Filmreif. Mitten aus dem Leben und einfach: Real. Das meine ich gar nicht als Fanboy, sondern... mal ehrlich: Manch einer versucht sooooo eine Geschichte zu Geld zu machen, weil es Stellenweise einfach "unglaublich" ist, was ihr erlebt habt. Man mag Euch wünschen, das Ihr alle eines Tages mit einem lächelnderem Auge auf die Sache zurück blicken könnt und "seht" was für ein Unterfangen ihr gemeistert habt. Das Videostatement von Mhaire als ihr in Hamburg ankammt, find ich beachtlich gut. Ich weiss nicht, ob ich noch am Tag der Rückkehr so eine "Zusammenfassung" der Eindrücke hätte abgeben können, zeigt aber deutlich, wie aufgeklärt, offen vorallem aber professionel und engagiert Mhaire ist. :-D P.S.: Und ja: Der Anblick von dem fast schon dürrem Steff, den werd ich wohl nie vergessen.